Die Näherin Roquelina war eine der ersten Betroffenen, die wir nach den Bränden besucht haben. Damals war die ältere Dame noch sichtlich traumatisiert und nahezu apathisch. Umso wunderbarer war es für uns, bei unseren zwei Besuchen im Oktober zu sehen, dass Dona Roquelina in den letzten Monaten deutlich an Kraft gewonnen hat und - auch dank eurer Spenden - endlich wieder lächeln kann!
Bericht: Alina Stoica; Fotos: Susanne Koplin
3-11-2018: Nur wenige Minuten, nachdem wir unseren Treff mit anderen Betroffenen beim Intermarché verlassen haben, stehen wir vor dem Haus, in dem Roquelina gemeinsam mit ihrem Bruder und ihrer Schwägerin vorübergehend untergebracht ist. Susanne ist mit ihrer Kamera bewaffnet, ich trage die elektrische Nähmaschine, die mir Marie-France aus Silves extra ins Büro gebracht hat. Auch das Garnset, das ich bei dem Treffen der “Leben in der Algarve”-Gruppe von einem netten Ehepaar für Roquelina bekommen habe, habe ich dabei.
Bereits bei meinem Telefonat mit der Näherin am Tag zuvor konnte ich hören, dass es ihr erheblich besser geht, als bei unserem ersten Treffen. Roquelina war das zweite Brandopfer, das wir im Rahmen unseres Hilfsprojekts
besucht haben. Ihre Verzweiflung und ihr Schmerz haben sowohl Susanne als auch mich damals sehr getroffen.
Es dauert eine Weile, bis die zierliche Dame uns die Tür aufschließt. Aufgrund ihres körperlichen Handicaps braucht sie etwas länger, um die Treppe zur Eingangstür hinab zu steigen. Als sie diese endlich öffnet, geht mein Herz auf. Vor uns steht eine lächelnde Frau, deren Augen ihr Strahlen wiedergefunden haben. Obwohl man ihr die Spuren des schweren Schicksalsschlags noch immer ansehen kann, ist die positive Veränderung, die in den letzten zweieinhalb Monaten stattgefunden hat, deutlich sichtbar. Zaghaft schließt sie mich in die Arme und bittet uns, sie nach oben zu begleiten.
In ihrem Arbeitszimmer stelle ich die elektrische Nähmaschine ab, bei deren Anblick Roquelinas Augen vor Dankbarkeit feucht schimmern. Ich überreiche ihr das Garnset, das sie sehr gut gebrauchen kann, wie sie mir versichert. Lächelnd schaue ich mich in dem kleinen Raum, der ihr als Atelier dient, um. Ich erinnere mich, wie leer und kalt dieser bei unserem ersten Besuch hier wirkte. Damals war die zierliche Näherin noch nicht in der Lage gewesen, ihre Arbeit wiederaufzunehmen. Die wenigen Utensilien, die wir ihr gekauft hatten, waren sorgfältig verstaut, die Nähmaschine, die sie von Ana Silva bekommen hatte, noch unberührt.
Jetzt herrscht ein buntes Chaos in Roquelinas Arbeitszimmer. Garn und Stoffe sowie angefangene Werke liegen überall herum. Grinsend entferne ich einen weißen Faden von ihrem dunklen Pullover. “Man sieht, dass Sie wieder arbeiten”, stelle ich freudig fest und die Näherin nickt eifrig. “Dank Ihnen”, antwortet sie, mit vor Dankbarkeit belegter Stimme, und ich kann dem Drang, sie noch einmal zu drücken, nicht widerstehen. Stolz präsentiert mir eine kleine farbige Stofftasche, an der sie gerade arbeitet. Ich schaue mich noch einmal verstohlen in dem winzigen Raum um. Endlich herrscht hier Leben. Ach, wie ich dieses bunte Chaos liebe!
Gemeinsam gehen wir ins Wohnzimmer, wo sich Roquelinas Schwägerin zu uns gesellt. Wir sitzen noch ein Weilchen beieinander, knabbern getrocknete Feigen und Mandeln und ich erkundige mich nach der Situation der dreiköpfigen Familie. Leider ist diese nicht ganz so einfach, obwohl sie alle dankbar sind, ein Dach über dem Kopf zu haben, selbst wenn es nur eine vorübergehende Lösung ist. Die Hauseigentümer scheinen etwas eigen zu sein, sie möchten weder, dass ihre Mieter zu viele persönliche Sachen “anschleppen”, noch erlauben sie ihnen, Renovierungsarbeiten/Verbesserungen durchzuführen. Auch gibt es bis auf eine kleine offene Feuerstelle im Wohnzimmer keine Heizmöglichkeit, die Innenräume sind feucht und kühl. Ich biete ihnen an, ihnen einen oder zwei Ölradiatoren, die Laurinda Seabra von der ASMAA angeboten hat, mitzubringen. Roquelina ist wie immer etwas zurückhaltend, aber sie nickt zustimmend, als ihre Schwägerin uns versichert, wie sehr ihnen damit geholfen wäre. Auch eine dickes Daunenbett für den Winter benötigt die Näherin dringend, momentan deckt sie sich mit einer dünnen Decke zu, bei deren Anblick es mich innerlich friert. Ich verspreche ihnen, mich so schnell wie möglich darum zu kümmern und bis nächstes Wochenende eine oder zwei Heizungen sowie eine ordentliche Bettdecke zu besorgen. Auch über die Nespresso Maschine, die Marie-France mir angeboten hat, würden sie sich sehr freuen (hier ist bereits alles organisiert, ich bekomme diese in den kommenden Tagen).
Während des Gesprächs huscht ab und zu ein Lächeln über Roquelinas Gesicht. “Obrigada”, wiederholt sie immer wieder, “ich werde Sie bis an mein Lebensende niemals vergessen.” Als sie sich verstohlen ein paar Tränen aus dem Augenwinkel wischt, kann auch ich meine Emotionen kaum noch verbergen. Ich ergreife ihre Hand und bitte sie, nicht zu weinen. Diesmal seien es Freuden- und Dankbarkeitstränen versichert sie mir und ich muss schmunzeln. “Gut, in diesem Fall ist Weinen erlaubt”, zwinkere ich ihr zu.
Als wir losfahren sind Susanne und ich glücklich und erleichtert. Roquelinas tragisches Schicksal und ihr traumatisierter Zustand hatten uns bei unserem Besuch im August viel Sorgen bereitet. Zu sehen, dass sie langsam wieder zur Normalität zurückgefunden hat und neuen Lebensmut schöpft, erfüllt mich mit unbeschreiblicher Freude. Und ich fiebere jetzt schon dem kommenden Wochenende entgegen, wenn wir Roquelina erneut besuchen und ihr und ihrer Familie noch ein wenig mehr unter die Arme greifen werden.
10-11-2018: Es dämmert bereits, als wir endlich am Haus der Näherin Roquelina eintreffen. Unterwegs haben wir noch eine Gasflasche für die Heizung, die wir ihr mitbringen (gespendet von Juliane B.) besorgt. Ich halte direkt vor der Haustür an und gemeinsam mit Susanne und Roquelinas Schwägerin laden wir die Sachen aus dem Wagen. Ich parke einige Meter weiter und laufe zurück durch den einsetzenden Regen. In der Zwischenzeit haben die Beiden alles ins Treppenhaus getragen. Oben steht Roquelina, auf ihrer Krücke gestützt, und lächelt uns zu.
Wenig später sind wir alle mitsamt der Sachspenden, die wir mitgebracht haben, im Wohnzimmer versammelt. Auf dem Tisch stapeln sich Stoffe, Nähzeug, Putzmittel,
Tücher, eine Kaffeemaschine. Die dicke Daunendecke mit dem dazugehörigen Bettzeug sowie die warme Kuscheldecke, die Susanne noch für Roquelina besorgt hat, liegen auf dem kleinen
Sofa.
„Heute ist Weihnachten“, scherze ich und die zierliche Näherin nickt mir unter Tränen zu. Wieder einmal ist sie von der Hilfsbereitschaft und Großzügigkeit der
Spender überwältigt. Schüchtern steht sie in einer Ecke des Raumes und ihre Augen wandern immer wieder zu der Gasheizung. Darüber freut sie sich am meisten, verrät sie uns mit einem Lächeln auf
den Lippen. Auch in ihrem alten Haus hatten sie einen Gasheizer, diesen hat sie sich immer ins Nähzimmer gestellt, wenn sie am Arbeiten war.
Zusammen gehen wir in den angrenzenden Raum und Roquelina probiert gleich aus, ob sie mit dem Stoff, den uns Anette mitgegeben hat, arbeiten kann. Zunächst soll
sie einen Bezug für ein Hundekissen nähen, anschließend werden die Bezüge für Annettes Caravan folgen.
Ich beobachte die zierliche Frau, wie sie konzentriert an ihrer Nähmaschine sitzt. Für kurze Zeit herrscht Ruhe in dem Zimmer, allein das monotone Geräusch der
Nadel, die flink über den Stoff fliegt, unterbricht die Stille.
Es ist noch keine drei Monate her, dass wir hier zum ersten Mal gestanden haben. Damals saß eine gebrochene, völlig traumatisierte Frau vor uns, die mit leerem Blick vor sich hinstarrte und jegliche Freude am Leben verloren zu haben schien. Doch die Verbitterung und der Schmerz sind im Laufe der Wochen gewichen, Roquelina hat neue Hoffnung geschöpft, kann wieder nach vorne schauen. Nur einmal, als ich eine ihrer angefertigten Arbeiten bewundere, verdunkeln sich ihre Züge. Sie hatte einen ganzen Sack voll davon, erklärt sie mit belegter Stimme. Doch das Feuer hat alles vernichtet.
Erneut wandert ihr Blick zum Türrahmen, wo wir die Heizung abgestellt haben. Die Traurigkeit in ihren Augen verfliegt. „Jetzt muss ich endlich nicht mehr frieren“, sagt sie und bricht in Tränen aus. Es sind Freudentränen und doch zieht sich mein Herz im Brustkorb zusammen. Wie muss es der Familie in dem kalten Haus ergangen sein, seit der Herbst Einzug gehalten hat? Vor allem nachts fallen die Temperaturen und in einem unbeheizten Zimmer zu schlafen, noch dazu mit einer dünnen Sommerdecke, muss ziemlich unangenehm sein. Ich kann nicht anders, als Roquelina in den Arm zu nehmen und fest zu drücken. Sie ist eine so bescheidende, liebenswürdige Person und ich kann gar nicht beschreiben, wie sehr sie mir inzwischen ans Herz gewachsen ist.
Ein Weilchen plaudern wir noch, dann müssen Susanne und ich uns leider auch schon verabschieden. Inzwischen ist es schon fast dunkel und der Regen ist stärker geworden. Vor uns liegen noch ca. 40km Fahrt runter an die Küste.
Roquelina will den Kissenbezug für Annette noch im Laufe der Woche fertigstellen, erzählt sie uns zuversichtlich. Es tut so gut zu sehen, wie sie allmählich auftaut und wieder Spaß an ihrer Arbeit hat. Wir umarmen die beiden Frauen noch einmal ganz fest, dann begeben wir uns auf den Rückweg nach Carvoeiro.
Ein langer, erlebnisreicher Tag liegt hinter uns. Susanne und ich sind erschöpft, aber happy. Wieder einmal haben wir die Chance bekommen, Menschen, denen durch das Feuer alles genommen wurde, ihr Lächeln zurückzugeben. Für uns gibt es nichts Schöneres, als das Strahlen in den Augen derjenigen zu sehen, die vor drei Monaten durch die Hölle gegangen sind.
Und wir werden unser Versprechen halten und diese Menschen auch in Zukunft zu unterstützen und zu begleiten. Dafür sind wir auch weiterhin auf eure Hilfe angewiesen, denn nur gemeinsam können wir so viel Gutes erreichen. Ein riesiges Dankeschön an alle, die das bisher möglich gemacht haben und es auch nach wie vor tun werden.
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